Hilflos ausgeliefert oder doch handlungsfähig?

0001DKZwei Frauen unterhalten sich – eine fühlt sich den Lebensumständen hilflos ausgeliefert, die andere ist handlungsfähig geblieben. Beide sind bereits einige Jahre in Pension und haben in ihrem Leben schon viele Höhen und Tiefen erlebt, sich um ihre Kinder gesorgt und sich manchmal die Frage gestellt, was sie als Mutter falsch gemacht haben. Während sich Johanna den Umständen hilflos ausgeliefert fühlt und die Schuld an ihrer Unzufriedenheit ausschließlich bei anderen sucht ist Leopoldine sichtbar stärker im Hier und Jetzt.

Das Gespräch beginnt eigentlich ganz harmlos mit tagesaktuellen Erzählungen. Doch schnell driftet Johanna in alte Zeiten ab, erzählt von Erlebnissen, die bereits mehr als 20 Jahre zurück liegen. Sie gefällt sich offenbar in der Opferrolle so sehr, dass sie auf Einwände ihrer Zuhörerin nur ganz kurz reagiert, um dann gleich die nächste „Hiobsgeschichte“ zu erzählen.

Leopoldine bemüht sich beständig, einen anderen Blickwinkel einzubringen – und scheitert ebenso beständig. Sie versucht immer wieder, von ihren eigenen Erfahrungen mit Blick auf die Lösungskompetenz zu erzählen, wird dabei jedoch schnell von Johanna unterbrochen, die ihre eigene Problemgeschichte weitererzählen will. Dann kommt der Punkt, an dem sie sagt: „Du, Johanna, vielleicht rede ich jetzt leicht, weil ich deine Situation nicht aus eigener Erfahrung kenne. Doch wenn es dir so schlecht geht, dann trenne dich von den Personen, die dich runter ziehen. Du brauchst solche, der dich hinaufziehen.“

Und was macht Johanna? Sie nickt kurz und setzt dann ihre Problemgeschichte fort. Dazwischen sagt sie: „Deine Power möchte ich gerne haben. Das imponiert mir.“ Die Antwort von Leopoldine ist einfach und kurz: „Du musst selbst etwas dafür tun. Das geht nicht von alleine!

Kennst auch du solche Gespräche?

Oft braucht es eine gute Freundin, die den Blickwinkel verändert und auch einmal eine klare Ansage macht. Wenn wir uns hilflos ausgeliefert fühlen und nur die anderen für unser Lebens(un)glück verantwortlich machen, geben wir die Zügel aus der Hand.

Was könnte nun Johanna als Vorteil sehen? Nun ja, sie erhält Mitleid von anderen, auch den 1000. Vorschlag kann sie ablehnen mit dem Hinweis, dass dieser bei ihrer Lebensgeschichte aber nun wirklich nicht umsetzbar ist – und sie hat weiterin Zuhörerinnen, die sich von ihr einspinnen lassen.

Wenn ich mir ihre Körperhaltung ansehe, dann fällt mir auf, dass sie aufrecht sitzt und ihre Gesprächspartnerin mit klarem, geradem Blick anschaut. Das ist so absolut gegenteilig zu den Gesprächsinhalten und ich vermute erneut, dass sie sich in der Opferrolle sehr wohl fühlt und gar nicht raus will. Denn was würde sie denn dann erzählen? Wer würde ihr noch zuhören?

Was kannst du tun, wenn du solchen Personen begegnest, vielleicht sogar viel Zeit mit ihnen verbringen musst?

  1. Wie die Geschichte oben schon zeigt, sind gute Ratschläge völlig sinnlos. Denn eine jammernde Person ist (noch) nicht bereit Lösungen zu suchen. Manchen hilft es schon, wenn sie einmal so richtig arm sein dürfen und dies auch gewürdigt wird. Also eine Bestätigung, wie schlimm das Leben wohl für diese Person sein muss, wirkt oft als Turbo, um dann in die Veränderung zu gehen.
  2. Hilfreich ist oft die Frage: „Was soll ich tun, wenn du mir das erzählst?“ (natürlich in neutralem Ton und ohne Vorwurf ausgesprochen) Das bringt die Jammernde in eine aktive Rolle, denn jetzt muss sie sich quasi einen Auftrag an dich überlegen. Dann kommt zB „Ich möchte, dass du mir zuhörst“
  3. Wenn es „nur“ ums zuhören geht, dann ist es gut, eine Zeitbegrenzung zu vereinbaren. Oder bist du gerne die immerwährende Klagemauer?
  4. Der Auftrag könnte aber auch sein: „Ich möchte, dass du mir sagst, was ich tun soll!“ – Na gut, wie viele Lösungsvorschläge willst du bringen, bevor du erkennst, dass du dir das Hirn zermarterst und kein einziger Vorschlag auch nur ansatzweise angenommen wird? Da greift dann eine Methode zum Selbstcoaching, nämlich „Wenn du jetzt hier sitzen würdest, welchen Tipp würdest du dir geben?“
  5. Eigene Gefühle mitteilen! Eine Rückmeldung über die Emotionen, die ihre Geschichte in dir auslöst bzw auch das niedergeredet werden, ist sehr wichtig, um eine ausbalancierte Beziehung zu leben.

Findest du dich in Johanna oder Leopoldine wieder? Welche ist dir näher? Welche verstehst du weniger?

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